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Symposium ''Inseln der Utopien'' (Isole delle Utopie), Potsdam im Juni 2002


1.

LandArt-Projekt: Der Paradiesteppich

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Ein auf einer Naturwiese exakt und fachgerecht verlegter Rollrasen umrahmt wie ein Passepartout einen kleinen Bereich dieser Wiese, hebt diesen dadurch aus seinem Zusammenhang und setzt ihn in den Rang eines bedeutsamen Objektes der Aufmerksamkeit.

Im Zusammenhang der Diskussion um den Utopiebegriff benennt diese Arbeit das uns Bekannte und quasi Alltaegliche, das "Naheliegende" als "Hardware" der Utopie. Ihr Inhalt muss vom Betrachter auf einem Weg der Bewusstwerdung erschlossen werden.

Vielleicht hat R.M. Rilke auf etwas Aehnliches abgezielt, wenn er in seinem Aufsatz "Ueber Kunst" 1898 schreibt:
"Wir muessen es aussprechen, dass das Wesen der Schoenheit nicht im Wirken liegt, sondern im Sein. Es muessten sonst Blumenausstellungen und Parkanlagen schoener sein als ein wilder Garten, der vor sich hinblueht irgendwo und von dem keiner weiss."

Reinhard Spielvogel

Sponsor bei der Realisierung: Firma Thorsten Gottschalck, Garten- und Landschaftsbau, Berlin

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2.

Objekt: PIXELFELD

Modell fuer einen Nicht-Ort


Die Traeume der Menschen sind alt. Den Traum vom Paradies traeumten die Alten Perser zuerst, den vom wunderschoenen Garten inmitten einer ansonsten unwirtlichen Landschaft. Leider ist dieser Ort nirgendwo zu finden, zumindest nicht in der materiell vorhandenen Welt.

Der Paradiesgarten ist insofern ein "Nicht-Ort", eine "Utopie". Der Begriff Utopie ist abgeleitet von dem Wort Utopia (griech. ou = nicht, topos = Ort, lat. utopia = Nirgendwo), das Thomas Morus im Titel seines Romanes "De optimo rei publicae statu, deque nova insula Utopia" verwendete. (In diesem Roman entwarf Morus ein ideales Gemeinwesen, das er auf die Insel Utopia verlegte.) Auch im Bereich der konkreten Gartenplanung gab es von der Antike bis zum heutigen Tag immer wieder Entwuerfe, die das geistige Ideal symbolisieren sollten.

Ist das virtuell Vorhandene wirklich real? Zumindest haben wir uns als Computernutzer an den tagtaeglichen Umgang mit der "virtual reality" gewoehnt.

Das Modell "Pixelfeld" versucht, die Vorstellung eines nicht vorhandenen bzw nicht betretbaren Ortes sichtbar zu machen.

Reinhard Spielvogel, im Mai 2003

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3.

Mehr zum Thema ''Utopie'':

Michael Haerdter: Koennen wir ohne Utopien leben?

Vortrag zum Symposium "Inseln der Utopien" (Isole delle Utopie), Potsdam im Juni 2002


" (...) Die Revolution des Kopernikus faellt in die ersten Jahre des 16. Jahrhunderts. Es kann kein Zufall sein, dass der Beginn der eigentlichen utopischen Literatur genau zu dieser Zeit einsetzt. Ich spreche von Thomas Morus' 1516 erschienener Erzaehlung von "Utopia", die der ganzen Gattung den Namen gegeben hat.

"Utopia" macht uns mit einer Insel bekannt, deren Bewohner sich einen idealen Staat geschaffen haben. Das Privateigentum ist in diesem Land abgeschafft, alles ist der Gemeinbesitz aller. Geld wird ausschliesslich im Aussenhandel und zur Loehnung fremder Soeldner fuer die Landesverteidigung benutzt. Utopia wird von einem auf Lebenszeit gewaehlten Praesidenten und von Beamten regiert, die man Vaeter nennt. Das Erziehungswesen spielt eine hervorragende Rolle: die Kinder werden im Sinne der Chancengleichheit aller ausgebildet. So koennen Gesetze auf eine Minimum beschraenkt bleiben. Die Naturwissenschaften dominieren. Die Arbeitszeit der Erwachsenen konnte verkuerzt werden, da alle Buerger arbeiten. Sie nutzen ihre reichliche Freizeit zur staendigen Weiterbildung... Soweit in aller Kuerze der Inhalt.

Thomas Morus fuehrt uns eine erstaunlich moderne Vision des Gemeinwesens vor Augen. Er entwirft das Bild einer aufgeklaerten Monarchie fleissiger, gesunder und gebildeter Buerger, die ihr Zusammenleben in jeder Hinsicht klug organisiert haben, nach Prinzipien, die man in spaeterer Zukunft sozialistische nennen wird. Hier hat die Vernunft das Sagen. "Utopia" und andere utopische Staatsromane in der Folge gehen davon aus, dass dem Menschen die Rueckkehr ins Paradies endgueltig versagt ist, das heisst die Rueckkehr in ein unschuldiges, unwissendes Leben in naiv-animalischem Einklang mit der Natur. Was man die Erbsuende genannt hat, ist nichts anderes als jener genetische Unfall, der sich in grauer Vorzeit ereignet und dafuer gesorgt haben muss, dass ein bestimmter Affenstamm sein Leben in den Baeumen aufgab, den aufrechten Gang und die Beherrschung des Feuers erlernte. Dieser Homo sapiens ist zum Gebrauch und zur stetigen Vervollkommnung seiner Vernunft veranlasst oder verurteilt - wie immer man es sehen mag -, wobei die sogenannte Aufklaerung die Lehrmeisterin ist. Jedenfalls ist auch diese Menschwerdung ein unendlich muehsamer Prozess der Evolution hin zu einer humanen Kultur, und nicht ohne zahlreiche Rueckschlaege, wie uns die Geschichte lehrt. (...)

Was die symbolische Dimension des Topos Insel angeht, eignete ihr die Qualitaet eines geschlossenen Biotops, das sich dem Autor und seinen Lesern zu quasi objektiver Erforschung und Erfahrung wie unter dem Mikroskop eines Wissenschaftlers darbot. Denn es ging ja in der Tat um die Annaeherung an ein noch unbekanntes Lebewesen. So treffen im Topos der Insel mehrere neuzeitliche Motive zusammen: Allen voran die schon genannte leitmotivische Suche, der Wissens- und Erfahrungsdrang; zweitens das Motiv der Eroberung und des Gluecksversprechens, Stichwort Eldorado, das ueber Stevensons beliebte "Schatzinsel" ("Treasure Island", 1897) bis heute virulent ist; schliesslich kommt das Motiv der Reise hinzu. Ein weitgespannter Topos auch sie. Er meint nicht nur Sehnsucht und Fernweh. Vielmehr schliesst er die mythischen Irrfahrten des Odysseus (den es dabei auf nicht weniger als vier hoechst bemerkenswerte Inseln verschlagen hat) ebenso ein, wie die Lebensreise von uns homines viatores, und er kennzeichnet schliesslich unsere heutige mobile Gesellschaft. Die Insel und die Reise sind also Schluesselbegriffe oder Archetypen der Utopie. Seit Thomas Morus ziehen sie sich durch die reiche utopische Literatur, bis sie in der Science Fiction in die Zukunft verlegt werden oder im kosmischen Gewand in Erscheinung treten. (...)"

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